Rückblick: Achtklassspiel – Harry Potter und das verwunschene Kind

Was geschieht, wenn der berühmte Harry Potter erwachsen ist und sein eigener Sohn an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei seinen eigenen Weg finden muss? In „Harry Potter und das verwunschene Kind“ begleiten wir Harrys Sohn Albus Severus Potter, der sich mit dem Erbe seines Namens, den Erwartungen seiner Familie und seiner eigenen Identität auseinandersetzt. Auf einer Reise durch die Zeit gerät Albus in gefährliche Abenteuer, versucht, die Vergangenheit zu verändern und erkennt am Ende, wie wichtig Freundschaft, Vertrauen und der Mut zum eigenen Weg sind.
Wer das Stück im vergangenen Monat verpasst hat, hat leider ein Problem. In unserer Realität gibt es keinen funktionierenden Zeitumkehrer, um noch einmal in die Mehrzweckhalle der Freien Waldorfschule Oberberg zurückzureisen. Wirklich schade, denn was die 8. Klasse da auf die Bühne gezaubert hat, war definitiv sehenswert.
Zentrales Thema des Stücks ist die konfliktreiche Beziehung zwischen Harry Potter und seinem Sohn Albus Severus. Schon früh wird spürbar, wie schwer es beiden fällt, einander wirklich zu erreichen. Der Vater, der sein eigenes Trauma und seine Geschichte nie so recht überwunden hat, und der Sohn, der unter dem berühmten Namen leidet. Der emotionale Höhepunkt dieser Anspannung gipfelt in einer Szene, in der Albus seinem Vater entgegenschleudert: „Ich wünschte, du wärst nicht mein Vater“ und Harry, überfordert und verletzt, antwortet: „Manchmal wünschte ich, du wärst auch nicht mein Sohn.“ Ein Moment, der das Publikum spürbar erschüttert. Nicht nur wegen der harten Worte, sondern wegen der Wucht, mit der sie von den Jugendlichen präsentiert werden. Viele Eltern und Kinder im Zuschauerraum dürften sich in diesem verbalen Schlagabtausch und diesem Balanceakt zwischen Nähe und Distanz, zwischen Liebe und Erwartungshaltungen wiedergefunden haben.

Solche Szenen holen selbst die Muggel im Publikum ab. Genauso wie die auf dem legendären Bahngleis 9¾ oder im und auf dem ikonischen Hogwarts-Express. Albus und Scorpius, der Sohn von Draco Malfoy, sind über den gesamten Abend hinweg auf der Flucht vor den Erwartungen ihrer Väter. Ganz bildhaft wird das deutlich, als sie gemeinsam versuchen, aus dem fahrenden Hogwarts-Express zu entkommen. Doch sie haben nicht mit der Schokofrosch-verkaufenden Imbisshexe gerechnet. Sie stellt sich ihnen überraschend in den Weg und wirft ihre Kürbispasteten wie Granaten, die blitzend und knallend explodieren. Das Technik-Team hat diese Szene eindrucksvoll umgesetzt. Es ist nur eines der Highlights in einer insgesamt großartig inszenierten Aufführung. Schon allein durch ihre Effekte und die dichte Atmosphäre war diese Aufführung, angelehnt an die Hogwarts’sche Notenskala, schlichtweg ohnegleichen.
Der Zeitsprünge in der Handlung machen „Harry Potter und das verwunschene Kind“ allerdings auch zu einem anspruchsvollen Stück für die Zuschauer.
Ein Schülerredakteur, der für die Schülerzeitung „Wen interessiert’s?“ über das Stück berichtet, findet: „Besonders die vielen Zeitsprünge machten es nicht gerade einfach, der Handlung zu folgen. Manche Szenen wirkten etwas verwirrend, weil sich durch die Zeitreisen immer wieder Dinge änderten.“
Wo sich die Handlung gerade abspielt, zeigt ein Wegweiser am Rand der Bühne an. Und immer dann, wenn der Zeitumkehrer eingesetzt wird, wird die jeweilige Jahreszahl effektvoll an die Decke der Mehrzweckhalle projiziert, damit soll das Publikum jederzeit in Raum und Zeit orientiert bleiben.
Inhaltlicher Dreh- und Angelpunkt der Zeitreisen ist die Herausforderung am See während des Trimagischen Turniers aus dem vierten Band. Albus und Scorpius wollen im Auftrag von Amos Diggory verhindern, dass sein Sohn Cedric gemeinsam mit Harry Potter das Turnier gewinnen kann, denn Cedric bezahlt diesen Sieg mit dem Leben. Doch jedes Mal, wenn sie die Vergangenheit beeinflussen, verändert sich die Gegenwart auf dramatische Weise. Die Szene am See, in der Ludo Bagman jedes Mal aufs Neue begeistert und mitreißend vorgetragen das Trimagische Turnier eröffnet, entwickelt sich zu einer absurd komischen Dauerschleife ihrer misslungenen Eingriffe in die Vergangenheit. Besonders in der dystopischen Gegenwart, in der Harry Potter Voldemort nicht besiegen konnte und Scorpius plötzlich zum Musterschüler geworden ist, wird deutlich, wie kleine Eingriffe in der Vergangenheit völlig unerwartete Konsequenzen nach sich ziehen können. Auch hier beeindruckt wieder die Inszenierung: Wenn Dementoren furchteinflößend durch den Saal schweben. Die Schreie der gequälten „Schlammblüter“ plötzlich mitten aus den Zuschauerreihen ertönen und dem Publikum das Blut in den Adern gefrieren lassen. Währenddessen stammelt Scorpius auf der Bühne überzeugend ungläubig: „Für Voldemort und Wagemut.“
Das Publikum wird von der 8. Klasse unter der Leitung von Eva Lüdenbach und Heike Bänsch wirklich auf eine intensive Gefühlsreise geschickt. Zum Glück gibt es mit dem Sieg über Voldemorts diabolische Tochter Delphi und der Rückkehr in die „richtige“ Zeitschiene ein Happy End. Wer ist eigentlich das „verwunschene Kind“? Delphi? Cedric Diggory? Oder sind es Albus oder Scorpius? Am Ende ist das gar nicht so wichtig. Was bleibt, ist eine eindrucksvoll präsentierte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des Erwachsenwerdens und der Suche nach der eigenen Identität.
Und eine achte Klasse, die wirklich stolz auf sich sein kann.
Um es mit den Worten von Ludo Bagman zu sagen:
„Meine Damen und Herren, Jungs und Mädels, ich berichtete Ihnen über das großartige, das legendäre, das einzigartige und einzige Achtklassspiel an der Freien Waldorfschule Oberberg.
Von Matthias Winkler
für den Öffentlichkeitskreis